Unsere Ausbildung in integrativer Pferdeosteopathie besteht aus vier Grundpfeilern: der Anatomie, den osteopathischen Konzepten und Techniken, dem Fühlen und dem Wissen rund ums Pferd. Heute geht es um den dritten Grundpfeiler, die wichtigste Fähigkeit eines guten Osteopathen: das Fühlen.
Wie jetzt… fühlen…? Was denn fühlen?
Schlägt man die Bedeutungen des Verbes „fühlen“ nach, tut sich eine Vielfalt auf: Einerseits geht es um das Physische, das etwas Ertastende, andererseits aber auch das Empfinden, das Intuitive, und schließlich auch das eigene „sich fühlen“. Tatsächlich benötigt ein guter Osteopath alle drei Fähigkeiten. Mit den geübten Händen kann man den Pferdekörper gewissermaßen „lesen“. Zunächst einmal können Ausweichreaktionen, wie bspw. ein Wegdrücken des Rückens, auf empfindliche oder sogar schmerzhafte Zonen hinweisen. Es geht aber auch darum, Temperatur- und Spannungsunterschiede ausfindig zu machen. So kann vermehrte Wärme auf ein entzündliches Geschehen, kühlere Bereiche hingegen auf einen geringeren Stoffwechsel hindeuten. Vermehrte Spannung kann darüber Auskunft geben, wo Muskulatur vermehrt arbeitet, um möglicherweise andere Strukturen zu entlasten oder zu schützen. Aber auch die Geschmeidigkeit von Bewegungsabläufen kann erfühlt werden, so z.B. verklebtes Gewebe oder Knirschen im Gelenk. Natürlich dient das Fühlen nicht nur der Bestandsaufnahme, sondern ebenso der Überprüfung der eigenen Behandlung. Hat sich das Gewebe im Vergleich zu vorher verändert? Reicht die Verbesserung bereits aus, um z.B. einen Seitenausgleich zu erzielen? Oder hat sich eine Verhärtung nun verschoben?
Fühlen und Energie
Zum Fühlen gehört aber noch viel mehr. Die eigenen Hände können dazu dienen, sich leiten zu lassen und intuitiv die zunächst wichtigste zu behandelnde Stelle am Pferd ausfindig zu machen. Übung ist sehr wichtig, um sich von anatomischem Wissen und „verkopfter“ Herangehensweise dabei nicht aus dem Fühlen heraus bringen zu lassen. Zum Fühlen gehört aber auch, sich auf die Arbeit am Pferd mental vorzubereiten und die eigene Energie zielführend anzuwenden. Essentiell ist dabei nicht nur, eigene Energie aufzubauen, zu erhalten und zu vermehren, sondern ebenso, sie von Fremdenergie zu unterscheiden und mit dieser entsprechend umzugehen. Was nützt eine Behandlung, nach der es dem Patienten bestens geht, dem Therapeuten jedoch schlecht? Langfristig zehrt das an der eigenen Gesundheit – und Selbstschutz hat wie in der ersten Hilfe oberste Priorität. Deshalb legen wir von Beginn an Wert darauf, den Umgang mit eigener Energie und Fremdenergie zu vermitteln.
Wie wir das Fühlen vermitteln
Im Prinzip muss niemand das Fühlen neu lernen, sondern lediglich für sich wieder entdecken. Zentral in diesem Prozess sind die Bewusstseinswerdung dessen, „was man da eigentlich gerade fühlt“, und entsprechendes Feedback. Das gelingt leichter unter fachgerechter Anleitung in den verschiedensten Übungen sowohl mit als auch ohne Pferd. Da diese Kernkompetenz des Osteopathen viel Praxis erfordert, bildet das Fühlen von Anfang an den Fokus unserer Ausbildung.
Um die ursprünglichen Befunde einordnen, aber auch einen nachhaltigen Therapieerfolg gewährleisten zu können, ist es jedoch wichtig, die Gesamtsituation des Pferdes einschätzen zu können. Dafür benötigt der Osteopath neben Anatomie, osteopathischen Konzepten und dem Fühlen „Wissen rund ums Pferd“. Was wir darunter verstehen, ist im letzten Teil dieser Reihe erklärt.